Im Jahre 1978 flog ich mit meinem Mann nach Gambia in West - Afrika in den Urlaub. Wir wussten, dass auch dort die Krankheit Lepra vorkommt, aber wo genau, das war uns nicht bekannt.
Die Hotel - Reiseleitung konnte uns auch keine Informationen geben, ebenfalls nicht die von uns angesprochenen Einheimischen.
Erst ein paar Tage nach unserer Ankunft gelang es uns, die ersten Informationen zu bekommen. Es geschah nach dem Sonntags-Gottesdienst. Die Menschen unterhielten sich noch beim Ausgang aus der kleinen, aus Holz gebauten Kirche. Wir wurden vom Priester, der aus Irland stammte, gefragt, was uns denn bewege, nach Gambia zu kommen. Als er von unserer Absicht, Leprakranke zu besuchen, erfuhr, wusste er sofort, wie man einen Kontakt zu ihnen herstellen könnte.

Er erklärte uns, dass sich zweimal in der Woche die Leprakranken zur ambulanten Behandlung in Ambulatorien begeben, die man dort "dispensary" nennt. Gleich am nächsten Tag wurden wir fündig. In der Nähe der Kirche fanden wir eine kleine Ambulanz.. Es gab noch weitere, die alle nach dem gleichen System strukturiert waren.
Wir betraten einen Bungalow mit insgesamt 5 Räumen. Ein paar Stufen führten in den zentralen Raum, in das Wartezimmer. Von diesem Raum aus wurden die Patienten in das Zimmer der Krankenschwester gerufen. Nach Erledigung der Formalitäten wurden sie dann in das Sprechzimmer des Arztes weitergeleitet. Der Arzt hatte noch zusätzlich einen Raum, in dem er Medikamente in Kartons und große Gefäße mit Salben untergebracht hatte. Er war dazu berechtigt, da er gleichzeitig die Aufgaben eines Apothekers wahrnahm.
In dem Dispensary befand sich noch ein kleiner Geburtsraum. Die Frauen aus der Umgebung hatten hier die Möglichkeit, unter medizinischer Aufsicht ihr Kind zu gebären, durften aber nicht länger als drei Stunden nach der Geburt ihres Kindes dort verweilen. Sie waren angehalten, anschließend ihr Kind zu nehmen und in den Busch zurückzukehren.
Wir sahen jedoch keinen Raum, in dem die Leprakranken eine medizinische Hilfe hätten erhalten können. Darüber erstaunt, bat ich den zuständigen Arzt, einen Afrikaner, um eine Erläuterung. "Die Leprakranken dürfen hier nicht hinein", sagte er. "Sie müssen vor dem Ambulatorium stehen bleiben, allerdings unter einer Überdachung." Der Arzt öffnete dann das Fenster seines Sprechzimmers. Gerade kam ein leprakranker Mann. Dieser wagte nicht einmal, sich dem Fenster zu nähern und wartete still, bis der Arzt ihn angesprochen hatte. "Ich habe keine Tabletten mehr," sagte der Kranke. Der Arzt zählte daraufhin 30 Dapsone-Tabletten ab und reichte sie dem Leprakranken in einem Stück Papier eingewickelt durch das Fenster.
Als der Arzt merkte, dass gerade dieser Patient uns besonders interessierte, rief er ausnahmsweise den Leprakranken zu sich in das Ambulatorium herein. Sehr schüchtern und zögerlich kam der Lerprakranke näher. Der Arzt zeigte uns seine Hautveränderungen, allerdings ohne den Patienten zu berühren. Auch die nächsten Leprakranken warteten schon draußen.
Wir konnten die diskriminierende Behandlung des Leprakranken nicht übersehen.
Mein Gefühl, ich müsste nicht nur diesem Leprakranken, sondern auch den unzähligen anderen, die ich noch gar nicht kannte, besonders beistehen, beschäftigte mich fortan immer mehr.
Wir blieben den ganzen Tag im Dispensary. Der Arzt freute sich darüber und erzählte uns von seiner Tätigkeit. Immer wieder betonte er, wie sparsam er mit den Medikamenten umgehen müsse. Vor unseren Augen setzte er Spritzen, ohne die Kanüle zu wechseln. Er desinfizierte sie mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch. Abwechselnd impfte er kleine Kinder und gab Erwachsenen Penicillin-Spritzen. "Ich schaffe es, mit einer Kanüle ungefähr 100 Spritzen zu setzen", sagte er stolz.
Er erzählte uns auch von einem Leprosorium, das sich in einer Entfernung von 8 Autostunden befand. Er bot sich sogar an, mit uns dort hin zu fahren.
Je länger ich über die komplexe Lepraproblematik nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass eine fundierte Hilfeleistung medizinische Kenntnisse voraussetzt. So entschloss ich mich, eine Schulung in einem dazu geeigneten Krankenhaus zu machen.